Mensch gewordene Liebe Gottes

Weihnachtspredigt zu Jes32,15-18


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Von Stephan Schaar

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus! AMEN.

Liebe Heiligabendgemeinde!

Wir haben die Corona-Pandemie überstanden; nicht alle - aber doch die meisten von uns. Wir sind mit Preissteigerungen und Energieknappheit klargekommen; nicht glänzend, aber immerhin irgendwie dann doch. Wenn jetzt eine gigantische Lücke im Bundeshaushalt durch Kürzungen gestopft werden soll, dann macht das unzufrieden; aber bedrohlich fühlt sich eher die fortschreitende Klimakatastrophe an.

Eigentlich könnten wir doch ganz zufrieden sein und die Feiertage genießen - ganz so, wie man sich das in bürgerlichen deutschen Wohnzimmern wünscht, nicht wahr? Aber war da nicht noch was? - Richtig: Der Krieg in der Ukraine dauert an, und seit dem 7. Oktober herrscht blanke Gewalt  im Gazastreifen, zwischen Israel und Palästina, wir erleben Hass und Wut in den Straßen von Berlin, es gibt offenen Antisemitismus und Vorwürfe in beide Richtungen.

Blenden wir das besser aus? Wir wissen ja ohnehin keine Lösung für diesen Dauerkonflikt. Und man soll sich nicht permanent überfordern mit Problemen, die einen nur niederdrücken.

Aber wir sind nun mal hier zusammengekommen, in der Kirche - einem Ort, der öffentlich ist, wo man also nicht still für sich genießen, schweigen, sich raushalten kann; wir sind an einem Ort zusammengekommen, an dem wir Gottes Wort begegnen.

Und dieses Wort wurde Fleisch - Jesus Christus wurde Mensch. Genau das zu feiern, sind wir hier. Das Wort wurde Fleisch, Gott wurde Mensch; er hat sich nicht fein herausgehalten aus unserem Schlamassel, ist nicht in seinem Himmel dort oben geblieben, sondern hat sich erniedrigt, ist einer von uns geworden - und zwar nicht in einer machtvollen Position, wo man von oben herab dies und jenes anordnen und womöglich auch neu ordnen kann. Nein, der Sohn Gottes hat das Licht der Welt an einem ihrer Ränder erblickt, in der judäischen Provinz, die von den Römern besetzt war.

Als Flüchtlingskind wurde er geboren, und bald danach war er mit seinen Eltern schon wieder auf der Flucht - genau wie jene Familien, die vom Norden in den Süden des Gazastreifens gezogen sind und bald auch dort nirgends Sicherheit fanden, genauso wie die von Terroristen überfallenen Bewohner grenznaher Orte in Israel und jene Partygäste eines Musik-Festivals, die man entführt oder getötet hat.

In dieses Wespennest also stecken wir jetzt unsere Finger, wenn wir uns auf Gottes Wort einlassen, denn wenn wir das tatsächlich tun - Gottes Wort zu Herzen nehmen -, dann leitet es uns dorthin, wo Schmerz und Kälte ist, wo gelitten wird, wo man um Hilfe fleht und nicht weiß, wie man den heutigen Tag überlebt; an morgen gar nicht erst zu denken!

Ich schlage das Buch des Propheten Jesaja im 32. Kapitel auf und lese dort:

15 Wenn über uns die Geistkraft aus der Höhe ausgegossen wird, wird die Wüste zum  Baumgarten und der Karmel wird geachtet gleich dem Wald.
16 Und das Recht wird in der Wüste wohnen, und auf dem Karmel wird Gerechtigkeit sein.
17 Und das Werk der Gerechtigkeit wird Frieden sein und der Ertrag der Gerechtigkeit Ruhe und Sicherheit für immer.
18 Mein Volk wird an der Wohnstätte des Friedens weilen, an sicheren Orten und sorgenfreien Ruheplätzen.

Nun wurde die Geistkraft, so berichten es die Evangelisten, ausgegossen und hat dieses neue Leben hervorgebracht aus der Jungfrau Maria: Jesus, den Sohn des Höchsten  - und plötzlich, liebe Gemeinde, ist alles anders:

Mitten in der Dunkelheit der Nacht wird es auf einmal taghell. Denen, die sich ängstigen, wird gesagt: “Fürchtet euch nicht! Euch ist heute der Retter geboren” Ja, die Boten Gottes geraten in Jubel und singen: »Gelobt sei Gott dort oben im Himmel! Frieden allen Menschen, die er liebt!«

Und wir tun es ihnen gleich, singen all die wunderbaren Weihnachtslieder - jetzt hier und nachher vielleicht auch noch, wenn wir heimgekehrt sind an unsere sicheren Orte, wo wir sorgenfrei und im Frieden leben. Jedenfalls, wenn wir mental das eigene Heim nicht verlassen und es womöglich schaffen, einen Abend lang die kleinen familiären Zwistigkeiten unter Kontrolle zu halten. Aber sobald wir den Fernseher einschalten oder digitale Medien nach Neuigkeiten durchforsten, ist schon wieder Krieg, wird schon wieder getötet und gestorben.

Friede auf Erden wurde proklamiert in jener Nacht, die gar nicht still war, aber durchaus heilig. Nur haben das wohl zu wenige Leute gehört, oder die falschen: Ein paar Schäfer, die staunten und sicherlich vielen von dem erzählten, was ihnen da widerfahren ist, die aber als redselig und unzuverlässig galten, denen man daher also vermutlich kaum Glauben schenkte.

Und selbst wenn: Jener Mann, der die Mensch gewordene Liebe Gottes war, ist nach eigenem Bekunden nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert. An ihm schieden sich die Geister in Anhänger und Gegner; mit seinem Tod war der einen große Hoffnung begraben, für die anderen jedoch eine Gefahr abgewendet. Alles konnte weitergehen wie gewohnt.

Dazu ist er allerdings nicht gekommen. Er brachte jenes Schwert, das mitten durch Mark und Bein geht und Seele und Geist scheidet und über die Regungen der Gedanken und des Herzens urteilt. Stehst du da - oder stehst du dort?

Neutralität gibt es nicht: Wer nicht für mich ist, ist gegen mich, lautet sein Urteil. Erwartet wurde ja - und warum sollte auf einmal ein anderer gekommen sein? - ein Richter, genauer gesagt: Jener Einzigartige, Auserwählte, der in Gottes Namen für Recht sorgt.

Damit ist, anders als wir das gewohnt sind zu denken, weder eine blinde Justitia gemeint, noch geht es um Verurteilung und Bestrafung. Gott, der “gerechter Richter” genannt wird, ist einer, der zurecht bringt, was nicht in Ordnung ist, und diejenigen aufrichtet, die gebeugt sind, sich selbst erniedrigen oder von anderen klein gehalten werden.

Gott, der gerechte Richter, der seinen Gesalbten sendet, um sein Recht durchzusetzen, ist nicht neutral, sondern ergreift Partei für die, die Hilfe brauchen: die Kleinen, die Schwachen. Und er tritt denen entgegen, die ihre Interessen mit Machtmitteln durchzusetzen trachten.

In unserem Jesajatext heißt es: Das Recht wird in der Wüste wohnen und das Werk der Gerechtigkeit wird Frieden sein. Wenn nämlich an einem Ort das Recht ansässig ist, dann enden Willkür und Unrecht. Gott setzt Recht, das Frieden schafft, weil es nicht den Interessen dieser oder jener Mächte dient, sondern dem Lebensrecht aller. Dieses Recht ist seine Weisung, die Thora, Gottes Gebot, das weder Nationen kennt noch Geschlechter, keine Weltanschauung und keine sexuelle Orientierung, sich nicht schert um Hautfarbe, Herkommen, Bildung.

Dem Recht, das in rudimentärer Form selbst die gottfernen Völker kennen - wir sprechen heute von den universellen Menschenrechten - dieses Recht schafft den Frieden, so der Prophet. Es schafft ihn dadurch, dass das Recht befolgt wird - selbst im Krieg also gewisse Regeln weiterhin gelten. So bereits im Alten Testament, so in der Gegenwart geregelt in der Genfer Konvention. Nur die Einhaltung des Rechts schafft Frieden - Verträge, an die man sich bindet, statt in ständiger Furcht leben zu müssen vor einer heimlichen Racheaktion des Gegners.

Ohne einen fairen Vertrag sehe ich kein Ende der Feindseligkeiten zwischen Israelis und Palästinensern - und das bedeutet, dass nicht nur die Hamas entwaffnet werden muss, sondern auch die Willkür der Siedler zu beenden ist.

Ohne ein international abgesichertes Abkommen, fürchte ich, wird auch der Krieg in der Ukraine nur immer weiter Menschenleben kosten, Landschaften verwüsten und enorme Finanzmittel verschlingen, die eigentlich benötigt werden, damit die Welt ernährt werden kann.

Friede auf Erden ist die Kernbotschaft von Weihnachten, liebe Gemeinde, und nach diesem Frieden sehnen wir uns. Deshalb lassen wir uns gern zu Botschaftern Christi ernennen, deren Aufgabe darin besteht, diesem Frieden zuliebe um Versöhnung zu ringen.

Unsere Botschaft lautet, mit Paulus gesprochen: Er ist unser Friede. Ja, denn Gott setzt nicht nur Recht, er setzt sein Recht auch durch - in Jesus Christus. Er setzt sein Recht durch, auf dass sich niemand fürchte, sondern alle Welt sich freue, das bedeutet: nicht mit Gewalt und Zwang, sondern mit diesem Kind in der Krippe, mit diesem Zimmermannssohn, mit diesem Freund der Verlorenen, Tröster der Verzweifelten, Heiler der Verwundeten, der den Kelch nicht an sich hat vorübergehen lassen, sondern ihn geleert hat bis zum bitteren Ende.

Ihn, den vermeintlich Gescheiterten, den Gekreuzigten, setzt Gott ins Recht, indem er ihn vom Tod zum Leben bringt. In Christus überwindet Gott den Tod und schenkt uns die Hoffnung, dass sein Recht das letzte Wort hat, dass das Leben den Tod besiegt, dass alle Gewalt ein Ende haben und Kriege überwunden sein werden.

Um Jesu Christi willen dürfen auch wir uns zu Gottes Volk zählen, von dem der Prophet Jesaja sagt: Mein Volk wird an der Wohnstätte des Friedens weilen, an sicheren Orten und sorgenfreien Ruheplätzen.

Amen.


Stephan Schaar