Die Zeit nach dieser Zeit

Predigt zu Jeremia 31, 31-34 zum Sonntag Exaudi, 24. Mai 2020


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Vom Kathrin Oxen

Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen, nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern schloss, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen, mein Bund, den sie gebrochen haben, ob ich gleich ihr Herr war, spricht der HERR; sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der HERR: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein. Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: "Erkenne den HERRN", denn sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß, spricht der HERR; denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.

Es kommt eine Zeit nach dieser Zeit. Und sie hat schon begonnen. Die Straßen füllen sich wieder mit Leben, auch die Restaurants haben geöffnet. Und wenn man erst wieder draußen sitzen kann, wird es fast so sein wie früher. Ein bisschen mehr Abstand halten und natürlich immer eine Maske in der Jackentasche haben. Was sie uns versprochen haben, hat jetzt begonnen. Es gibt noch Einschränkungen, aber in der Luft liegt ein Gefühl von Neuanfang.

Es kommt eine Zeit nach dieser Zeit. Das hatte Gott seinem Volk ausrichten lassen, als sie eingesperrt und isoliert waren. Nicht bloß in ihren Häusern und Wohnungen, sondern weit entfernt von ihrer Heimat, in einer ganz fremden Umgebung. Was Gott seinem Volk Israel hat ausrichten lassen, das höre ich heute, fast 3000 Jahre später, immer noch als ein Trostwort. Viele haben es zu mir gesagt und ich habe es mir manchmal auch selbst gesagt: Es wird vorbeigehen. Es kommen auch wieder andere Zeiten. Wenn man sie fast überstanden hat, sind selbst acht Wochen Isolation gar nicht mehr so lang, wie sie sich zwischendurch angefühlt haben. Und dann legen wir wieder los und alles wird wie vorher.

Gott lässt den Loslegern in seinem Volk aber auch noch etwas anderes ausrichten. Es kommt eine Zeit und sie soll anders sein als die Zeit vorher. „Ich will mit dem Hause Israel und dem Hause Juda einen neuen Bund schließen“, sagt Gott. Wir machen einen Neuanfang nach der Katastrophe. Aber wir machen bitte nicht weiter wie bisher. Gott hat da so seine Erfahrungen mit seinem Volk. Das mit dem Bund zwischen ihm und ihnen war gelegentlich eine etwas einseitige Sache. Sie haben sich nicht daran gehalten, an diese Tafeln mit den Geboten, auf denen in zehnfacher Variation nichts anderes stand als „Du sollst den HERRN, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.“ (Dtn 6,5).

Denn auch die Kraft, den Nächsten zu lieben, kommt aus der Kraft der Liebe zu Gott. Sie kommt aus dem gleichen Herzen und der gleichen Seele. Weil wir ganze Menschen sind. Es geht nicht, dass ein Teil von uns Gott von Herzen liebt und ein anderer Teil von uns sich nicht für den Nächsten interessiert.

Die Worte von vor 3000 Jahren sind ein Einspruch gewesen für all die Weitermacher und Losleger damals. Und sie sind es heute noch. Es muss sich etwas ändern. Es gibt kein „weiter wie vorher“. Eines haben uns die acht Wochen, die wir hinter uns haben, doch offenbart: Es ist an vielen Stellen zum Vorschein gekommen, wie es wirklich um die Liebe zu unseren Nächsten und damit auch um unsere Liebe zu Gott bestellt ist. Es hat überall auf der Welt vor allem die Armen und Schwachen besonders getroffen Und wo wird jetzt das Geld investiert, wo werden die finanziellen Rettungsschirme aufgespannt? Nicht für die schlecht bezahlten Pflegekräfte. Nicht für die Familien, in denen Kinder viel mehr Unterstützung brauchen, als ihre Eltern sie ihnen geben können. Und auch nicht für die Arbeiter, die unter menschenunwürdigen Bedingungen in den Großschlachtereien am Band stehen und in Sammelunterkünften leben, damit wir unser Fleisch besonders billig einkaufen können. Das alles war vor dieser Zeit schon da. Und es war falsch. Und jetzt kommt die Zeit danach - und wie wird es jetzt?

Gott macht sich nichts vor, nicht einmal im Blick auf die Menschen, die er sich als sein Volk ausgesucht hat, die er wie kleine Kinder an die Hand genommen und in die Freiheit geführt hat. Denn er hat uns nun einmal in die Freiheit geführt. Wir entscheiden selbst, was wir tun und was wir lassen.

Ob uns die Zeit unserer Gefangenschaft, unseres Eingesperrt-und-Eingeschränkt-Seins wirklich spürbar verändert hat? Die Herzen weicher geknetet, den Sinn neu und anders ausgerichtet? Sehen kann man es vielleicht daran: Ob wir aufhören, unsere Brüder und Schwestern lehren zu wollen, was sie zu tun haben, anstatt bei uns selbst anzufangen. Scheinbar seit fast 3000 Jahren ist das eine beliebte Ausweichstrategie. Aber es geht nicht um die anderen, es geht um uns.

„Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen meine Volk sein und ich will ihr Gott sein“. Gott ändert sich nicht. Der Inhalt des ersten ist auch der Inhalt des neuen Bunds. Aber ob wir Menschen uns ändern, uns etwas von dem, was wir erlebt haben, wirklich zu Herzen nehmen, einen neuen Sinn suchen, das wird sich zeigen. In der Zeit nach dieser Zeit.

Amen


Kathrin Oxen
Jeden Sonntag: Gemeinsam unterwegs in besonderen Zeiten - von Kathrin Oxen

Kathrin Oxen, Moderatorin des Reformierten Bundes, gibt Ihnen auf reformiert-info.de jeden Sonntag Materialien für den Gottesdienst für Zuhause, dazu eine aktuelle Predigt.