Wir protestieren gegen den Tod

Von Martina Wasserloos-Strunk


(Symbolbild) © Pixabay

Die Erde hat gebebt in der Türkei. Nach dem Beben kommt die Flut: Die Flut der Bilder und die Flut der Tränen.

Im Angesicht der Katastrophe kann ich nicht mehr sprechen. Nur noch schweigen. Auch zu schreiben ist irgendwie schwierig, wenn das Entsetzen die Sprache verschlägt. Im Angesicht der Katastrophe bin ich dankbar: denen, die hinfahren um zu helfen - aus der ganzen Welt - und ja, auch aus Russland. Denen, die spenden, denen, die beten. Im Angesicht der Katastrophe ereignet sich viel mehr als Solidarität, es ist das, was wir Liebe nennen. Grenzen werden überwunden. Grenzen jeder Art. Soziale, kulturelle, religiöse. Der Katastrophe ist es egal, an was die Menschen glauben, der Solidarität und der Liebe auch.

Eine gute Erfahrung.  Aber auch das ist richtig: Unter dem Eindruck der Bilder und Nachrichten ist es nicht anstößig die Frage zu stellen: „Wo warst du Gott?“, „Warum?“. Vielleicht ist das sogar die älteste Frage der Menschheit - im Angesicht der Katastrophe: vieltausendmal gedacht, gesagt, geschrien, gewütet: „Warum lässt Du das zu, Gott?“

Über das „Warum“ werden wir noch einiges hören – da wird die Rede sein von horizontalen Erdplatten, tektonischen Verschiebungen und ostanatolischen Verwerfungen. Die Frage danach, warum die Menschen dort derart leiden müssen, wird damit nicht beantwortet: wenn wir ehrlich sind, müssen wir feststellen, dass keine Kirche, keine Regierung, keine Wissenschaft, einfach niemand darauf eine Antwort hat.
Als Christinnen und Christen glauben wir an einen Gott, der das Leben liebt und der seine Schöpfung in Frieden sehen will. Wir glauben an einen Gott, der leidet, wenn die Menschheit leidet – das wird uns in der Rolle Jesu überdeutlich vor Augen geführt. Ich kann deshalb nicht glauben, dass das Erdbeben in der Türkei „Gottes Wille“ ist. Und dass es der Beweis dafür ist, dass es Gott nicht gibt, glaube ich auch nicht.

Mir fällt dazu Gustav E. Lips ein:

dem herrn unserem gott
hat es ganz und gar nicht gefallen
daß gustav e. lips
durch einen verkehrsunfall starb

erstens war er zu jung
zweitens seiner frau ein zärtlicher mann
drittens zwei kindern ein lustiger vater
viertens den freunden ein guter freund
fünftens erfüllt von vielen ideen

was soll jetzt ohne ihn werden?
was ist seine frau ohne ihn?
wer spielt mit den kindern?
wer ersetzt einen freund?
wer hat die neuen ideen?

dem herrn unserem gott
hat es ganz und gar nicht gefallen
daß einige von euch dachten
es habe ihm solches gefallen

im namen dessen der tote erweckte
im namen des toten der auferstand:
wir protestieren gegen den tod von gustav e. lips

(Kurt Marti)


Martina Wasserloos-Strunk