Wahrheit oder Ideologie

Barth über Propaganda

»Propaganda ist Schwarz-Weiß-Malerei als die besondere Kunst und das Meisterwerk der Ideologien: die systematische Herausstellung je ihrer eigenen Vortrefflichkeit und Brauchbarkeit auf dem Hintergrund des Nachweises der völligen Nichtswürdigkeit und Verderblichkeit ihrer jeweiligen Konkurrenten und Gegenspieler. Propagandistische Worte und propagandistische Taten lassen sich dabei in der fruchtbarsten Weise kombinieren. Propaganda kann direkt oder indirekt, sie kann vom Dorfschmied grob und vom Feinmechaniker raffiniert, sie kann ganz bieder und wohlmeinend, sie kann auch giftig und bitter, sie kann natürlich auch geschickt oder ungeschickt getrieben werden. Wurde sie irgendwie zu allen Zeiten getrieben, so hat sie sich doch seit den bescheidenen kleinen Zeitungen des 17. Jahrhunderts durch die Erfindung und den Gebrauch der bekannten neuen, immer wirksameren Instrumente in einem so noch nie dagewesenen Tempo und Maß entwickelt. Man merke: die Wahrheit braucht und treibt keine Propaganda. Sie spricht, indem sie die Wahrheit ist, unmittelbar für sich selbst und gegen die Lüge. Propaganda ist das sichere Anzeichen, daß es sich, wo sie getrieben wird, nicht um die Wahrheit, sondern um eine Ideologie handelt, die sie nötig hat, deren Wesen sie entspricht und die keine Scham kennt, von ihr Gebrauch zu machen« (Karl Barth, in: Das christliche Leben 1959-1961 (GA II.7), 388)