Ordnung, Recht und Freiheit

Barth über den christlichen Begriff des rechten Staates

"Der von den Kirchen heute wie morgen zu vertretende christliche Begriff des rechten Staates hat zweifellos eine bestimmte Grenze und eine bestimmte Richtung. Indem er auf Ordnung zielt, widerspricht und widersteht er aller politischen, sozialen und wirtschaftlichen Tyrannei und Anarchie. Und indem er das gemeinsame Recht und die persönliche Verantwortlichkeit zum Maßstab der Ordnung macht, liegt die Demokratie mehr in seiner Linie als eine aristokratische oder monarchische Diktatur, der Sozialismus mehr als die ungebundene Wirtschaft und das auf sie begründete Gesellschafts- und Erwerbssystem, eine Föderation freier (auch vom Nationalitätenprinzip möglichst freier!) Staaten mehr als das Nebeneinander unabhängiger und unkontrolliert konkurrierender Nationalstaaten. Darum konnte und kann es für die Kirchen im heutigen Konflikt nur eine Stellungnahme geben. Und damit dürfte auch über den Ausgangspunkt und die allgemeine Richtung ihrer künftigen Stellungnahme beim Kriegsende und angesichts der Probleme des Friedens entschieden sein. Man darf aber nicht vergessen: der christliche Begriff des rechten Staates enthält wohl die absolute Forderung von Ordnung, Recht und Freiheit, aber keine absolute Forderung hinsichtlich der auf dieser Grundlage möglichen konkreten Gestaltung des öffentlichen Lebens in dieser oder jener Staatsform. Man könnte - schon mit Rücksicht darauf, daß Röm. 13,1-7 nun einmal im Blick auf den römischen Staat zurzeit Neros geschrieben worden ist - nicht sagen, daß die Demokratie, der Sozialismus, eine im engeren oder weiteren Kreis föderierte Staatenwelt, schlechthin notwendige, immer, überall und unter allen Umständen geltend zu machende christliche Postulate, die Diktatur, ein ungebundenes Wirtschaftssystem, das bisherige Nebeneinander der Nationalstaaten aber als schlechthin unchristlich zu verwerfen und zu bekämpfen seien. Ordnung, Recht und Freiheit können auch unter jenen besseren Gestalten zu Schanden werden und sie können auch unter jenen schlechte Gestalten zu Ehren kommen. Daß unter allen Umständen das Letztere geschehe, das und nur das - und nicht die Einführung der besseren, die Abschaffung der schlechteren Gestalten öffentlichen Lebens - ist absolute christliche Forderung." (Karl Barth, Brief an einen amerikanischen Kirchenmann 1942, in: Eine Schweizer Stimme: 1938-1945, 292)