Augenblick

17.03.2019

«Wem glaubst Du, mir oder deinen Augen?» fragt Graucho Marx in «Duck Soup» beleidigt seine Geliebte. Trotz der unverhohlenen Dreistigkeit, mit der der Ertappte seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen versucht, wirft sein Manöver die biblisch motivierte Frage auf: Sind auch diejenigen selig, die glauben, obwohl sie zwar nicht nicht, aber anderes sehen? Reformierte neigen zu dieser Sicht, weil sie dem Sehsinn traditionell kritisch gegenüberstehen. Dem wort-gewaltigen Zutexten des eigenen Blicks hat Karl Barth im Namen der Humanität energisch widersprochen: «Das ist nämlich der humane Sinn des Auges: dass der Mensch dem Menschen Auge in Auge sichtbar werde. […] Wenn der Eine dem Anderen wirklich in die Augen sieht, dann geschieht ja automatisch auch das, dass er sich vom Anderen in die Augen sehen lässt.»
(KD III/2, 299) Unser naturwissenschaftlich geschulter Blick durchschaut fast alles. Gleichzeitig vermeiden wir den Augenkontakt, weil er uns für andere durchschaubar macht. Die Scheu vor dem Augenblick macht unsere Welt unmenschlich.

Frank Mathwig