Diakoniepräsident Kottnik: ''Armutsbekämpfung braucht mutige Politiker, mutige Wohlfahrtsverbände und mutige Bürger''

170 Haupt- und Ehrenamtliche aus ganz Deutschland beim Jahrestreffen der Diakonie der Evang.-ref. Kirche in Veldhausen

Veldhausen. Der Präsident des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland, Klaus-Dieter Kottnik, hat die Armut in Deutschland als eine Herausforderung für Politik und Kirche bezeichnet. In seinem Vortrag vor der Diakonischen Konferenz der Evangelisch-reformierten Kirche am Sonnabend, dem 19. September 2009, zeigte Kottnik Handlungsoptionen für die Politik in Deutschland aber auch für die Kirchengemeinden auf, wie sie der Einschätzung aller Experten begegnen können, dass ''sowohl Armut als auch Reichtum in Deutschland in den letzten Jahren drastisch zugenommen haben''.

Kottnik bezeichnete die Überwindung von Armut als ein zentrales Thema christlichen Glaubens. Zum Jahrestreffen der Diakonie der Evangelisch-reformierten Kirche waren etwa 170 Haupt- und Ehrenamtliche aus ganz Deutschland nach Veldhausen in die Grafschaft Bentheim gekommen. Darunter waren auch etwa 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus diakonischen Einrichtungen in Ostfriesland.

An die Politik richtete der Diakoniepräsident die Forderung einer anderen Wirtschaftspolitik. „Wir brauchen eine Umverteilung von oben nach unten“, sagte Kottnik. Auch die Diakonie setzte sich für eine Erhöhung der Hartz IV-Sätze ein. Der Paritätische Wohlfahrtsverband habe bereits eine Anhebung um 20% genannt. Mit Blick auf die Wirtschaftskrise sagte Kottnik, dass eine immer größere Verschuldung von Haushalten als eine der Ursachen der Bankenkrise zu sehen sei.

Kottnik sprach sich besonders für eine Verbesserung der Infrastruktur für Kinderbetreuung aus. Noch immer gälten Kinder als Armutsrisiko und seien die Hauptbetroffenen von Armut. Es gehe um gleiche Bildungschancen für alle Kinder, darum fordere die Diakonie auch eine Beitragsfreiheit in Kindertagestätten. Er richtete an die Politik die Frage, ob „Krippenplätze eher in gutbürgerlichen Wohnbereichen oder auch in Problemzonen“ eingerichtet würden. Im Schulsystem sei die Einrichtung von Ganztagsschulen sowie ein Ende der Dreigliedrigkeit notwendig.

An die Kirchengemeinden gerichtet sagte Kottnik, dass Armut oft ein verschwiegenes Thema sei. Menschen aus der Mittelschicht fühlten sich in den Kirchengemeinden oft wohl, bei Ärmeren sei diese Erfahrung seltener zu finden, habe schon die Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland zu Armut 2006 festgestellt. Die Kirchengemeinde jedoch könne sehr gut ein Ort sein, an dem ein Problem von Armut, nämlich die Ausgrenzung aus den gesellschaftlichen Zusammenhängen, überwunden werden könne. Kottnik sieht Kirchengemeinden als Orte der Gemeinwesenökonomie, der Tauschbörsen und Nachbarschaftshilfen. Als ein gelungenes Beispiel bezeichnete er ein Angebot der Berliner Stadtmission. Im Winter könnten dort Interessierte tagsüber die Hauptstadt kennen lernen und stünden abends als Betreuer für Obdachlose zur Verfügung. In den Kirchengemeinden sieht Kottnik viel Raum für Phantasie und Engagement und für neue Formen der Ehrenamtlichenarbeit.

Zum Auftakt der Diakoniekonferenz in der reformierten Kirche in Veldhausen forderte der Pastor der Gemeinde, Bernd Roters, dass Armut bewegen müsse. Er nannte die Pfandflaschensammler in der Innenstadt und Schüler, die die Teilnahme an der Klassenfahrt nicht bezahlen könnten. Der Vizepräsident der Evangelisch-reformierten Kirche, Johann Weusmann aus Leer, sagte, es beunruhige die Kirche, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderklaffe. Der Titel der diesjährigen Diakonischen Konferenz, „Stark für Arme“, sei als Leitgedanke des gesellschaftspolitischen Engagements von Kirche zu verstehen.


Veldhausen/Leer, den 20. September 2009 / Ulf Preuß, Pressesprecher