400 Jahre 1. Reformierte Generalsynode: Meilenstein Duisburg 1610

Vizepräses Bosse-Huber: „Duisburg ist ein Meilenstein in der Geschichte der politischen Mündigkeit des Einzelnen“

Petra Bosse-Huber, Vizepräses der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR), hat die Bedeutung der 1. Reformierten Generalsynode vor 400 Jahren in der Duisburger Salvatorkirche für die europäische Geistesgeschichte unterstrichen: „Duisburg 1610 stellt zweifellos einen Meilenstein in der deutschen und europäischen Geschichte der Emanzipation und politischen Mündigkeit des Einzelnen dar“, sagte die Theologin am 8. September 2010 bei einem Vortrag im Kultur- und Stadthistorischen Museum in Duisburg.

Petra Bosse-Huber, Freiheit und Bindung – Zur Bedeutung der Generalsynode für Kirche und Gesellschaft heute.pdf >>>

Im Jahr 1610 kamen in Duisburg 36 reformierte Pfarrer und Laien zusammen und legten mit ihrer Synode Grundsteine für die Freiheit der Konfessionen, das kirchliche Bildungswesen und die Armenfürsorge und nicht zuletzt die Ordnung, nach der Pfarrer und Laien die evangelische Kirche gemeinsam und von „unten“ nach „oben“ leiten – die so genannte presbyterial-synodale Ordnung, ein Prinzip, das noch heute Gültigkeit hat.

Die Entwicklung zur politischen Autonomie des Einzelnen und zur demokratischen Entscheidungsfindung, die sich in der Duisburger Synode von 1610 widerspiegele, sei nicht mehr aufzuhalten gewesen, stellte die Theologin im Rahmen des mehrtägigen Historikerkongresses „Die 1. Reformierte Generalsynode 1610 – aus der Sicht der Wissenschaft“ fest. „Es ist kein Zufall, dass knapp 200 Jahre später die Forderungen der Französischen Revolution nach Menschenrechten, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, demokratischer und republikanischer Staatsform nirgendwo in Deutschland auf so heftigen Widerhall gestoßen sind wie im Rheinland. Selbst die außergewöhnliche wirtschaftliche Entwicklung im Rheinland im 19. Jahrhundert, die es zu Deutschlands führendem Industriestandort machte, ist ohne die entscheidenden Impulse des Protestantismus nicht denkbar“, so Vizepräses Bosse-Huber. Es sei deshalb eine „bleibende Verpflichtung, die Teilhabe des Einzelnen am politischen Prozess in der Gesellschaft, aber auch an innerkirchlichen Entscheidungsprozessen zu bewahren und weiter zu entwickeln“.

Recht auf freie Religionsausübung ist bleibende Verpflichtung

Bleibende Verpflichtung der Duisburger Generalsynode sei auch die Forderung nach der Gewährleistung freier Religionsausübung gewesen: „Diese Forderung muss aber heute sehr kritisch gewürdigt werden, denn ein abstrakter Toleranzgedanke war der Generalsynode völlig fremd“, sagte Petra Bosse-Huber. Was die Synode damals von der Obrigkeit erwartet habe, sei nicht die allgemeine Gewährleistung von Religionsfreiheit gewesen, sondern „zunächst und vor allem einmal der Schutz der eigenen reformierten Konfessionalität“. Die in Duisburg versammelten Männer hätten sich nicht dem Gedanken einer allgemeinen Religionsfreiheit verschrieben, stattdessen traten sie anderen religiösen Überzeugungen gegenüber „durchaus bestimmt und aggressiv auf“. In der Frühen Neuzeit, dem Zeitalter des Absolutismus, habe ein Klima härtester konfessioneller Auseinandersetzungen, die auf fatale Weise mit politischen Interessen und Machtkonstellationen verquickt waren, geherrscht.

Herausforderungen haben sich verändert


„Es ist nicht zuletzt das Verdienst der Reformation, dass der Freiheitsgedanke langfristig immer prägender für die geistesgeschichtliche und politische Entwicklung wurde und in der Aufklärung zur klaren Abkehr von irrationalem Denken führte. Die Erklärung der Menschenrechte und die Forderung nach Religionsfreiheit wären ohne den Einfluss des Protestantismus auf die europäische Geistesgeschichte nicht denkbar gewesen“, erläuterte Petra Bosse-Huber. Heute stellten sich in religiöser Hinsicht ganz andere Herausforderungen als vor 400 Jahren – „in Duisburg, im Rheinland, in Deutschland, in Europa, in einer globalisierten Welt. In unserer Gesellschaft haben die Menschen nicht mehr nur die Wahl zwischen zwei oder drei christlichen Konfessionen. Wir leben in einer multikulturellen Gesellschaft mit einer Vielzahl von Religionen und Weltanschauungen, mit verbreitetem Atheismus oder Agnostizismus. Wir müssen die Forderung nach religiöser und weltanschaulicher Toleranz heute sehr viel weiter fassen als es noch die Generalsynode tun konnte. Religionsfreiheit ist ein unveräußerliches Menschenrecht, und die Überzeugungen anderer Menschen und Glaubensgemeinschaften verdienen unseren ausdrücklichen Respekt und unseren Schutz“, so die Vizepräses der rheinischen Kirche.

Mehr zum Jubiläum im Internet unter: www.wir-sind-so-frei.de

Beschlüsse zur Fortentwicklung der presbyterial-synodalen Kirchenordnung, des interreligiösen Dialogs und der ''Bildungsgerechtigkeit''

Mit einem Beschluss, der aus den Wurzeln der eigenen Geschichte in die Zukunft weist, ist die außerordentliche Landessynode in der Duisburger Salvatorkirche zu Ende gegangen.